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Digitalisierungstreiber E-ID

Geschrieben von Axel Schild | 12.09.2025 07:04:40

Der aktuelle Stand der Digitalisierung ruft nicht nur positive Gefühle hervor. Einerseits gibt es klare Bestrebungen von öffentlichen Stellen und vom Privatsektor, mehr Dienstleistungen digital und einfach anzubieten. Andererseits können Nutzer bei der Vielzahl von Apps, Accounts, Passwörtern und Verfahren rasch eine Krise bekommen. Wichtige Dokumente gibt es teilweise immer noch per Post, andere als PDF per E-Mail. Für Organisationen aller Art ist es enorm herausfordernd, Daten digital nutzbar zu machen und zu verarbeiten.

Was überall fehlt, sind Daten, denen man vertrauen kann: Es braucht digitale Dokumente, die sich einfach und sicher austauschen lassen, deren Herkunft überprüfbar ist und die man selbst unter Kontrolle hat.

Schweizer E-ID mit neuem Konzept und Vertrauensinfrastruktur

Nun naht Besserung: Bald soll die Schweizer E-ID kommen, und damit auch eine «Vertrauensinfrastruktur», die das Potenzial hat, viele Probleme der Digitalisierung zu lösen.

Schon 2021 gab es einen ersten Anlauf für eine digitale Schweizer Identitätskarte. Damals sagten die Stimmberechtigten jedoch klar «nein» zum dazugehörigen E-ID-Gesetz. Der Grund war nicht eine negative Haltung zum digitalen Ausweis an sich, sondern zum damaligen Plan, die E-ID von privaten Firmen herausgeben und verwalten zu lassen.

Das Scheitern wurde als Chance erkannt und ein partizipativer Prozess in Gang gesetzt, der zu einem neuen, vielversprechenden E-ID-Konzept führte. Ende September wird ein zweites Mal über die E-ID abgestimmt, aber im Gegensatz zur «2021-Ausgabe» stehen nun praktisch alle wichtigen Organisationen, Vereine und Parteien hinter der E-ID. Inhaltliche Kritikpunkte sind noch vorhanden, aber im Vergleich zu den sich bietenden Chancen wenig überzeugend. Die Vorteile überwiegen klar.

Doch wie kann die E-ID die Digitalisierung vorantreiben? Um diese Frage zu beantworten, muss man verstehen, was da genau gebaut wird.

Nutzer behalten die Kontrolle über ihre Daten

Zum einen kommt die E-ID als digitaler vom Staat ausgegebener Ausweis. Die E-ID werden Nutzer bei digitalen Angeboten der öffentlichen Verwaltung wie auch bei privaten Anbietern verwenden können, um sich zu identifizieren. Besonders hierbei ist, dass das datensparsam erfolgen kann. So ist es z.B. möglich, einen Alters- oder einen «Menschlichkeitsnachweis» zu erbringen, ohne andere Daten preisgegeben zu müssen. Eine Social-Media-Plattform kann dadurch abfragen, ob eine Nutzerin ein Mensch (und kein Bot) ist und auf Über-18-Inhalte zugreifen darf, ohne dass die Nutzerin weitere persönliche Angaben machen muss. Und auch der Bund selbst sieht – genau wie bei der analogen ID-Karte – nicht, wie und wo die E-ID verwendet wird.

Diese Möglichkeiten ergeben sich durch eine technische Umsetzung, die vom Prinzip der Self-Sovereign Identity (SSI), der selbstbestimmten Identität, geleitet ist. Dabei werden digitale Nachweise wie die E-ID direkt in einer digitalen Brieftasche (Wallet) auf dem Gerät des Nutzers abgelegt. Mit der Wallet können Nutzer die Informationen in den Nachweisen verwenden, während kryptografische Schlüssel auf einer öffentlich zugänglichen Datenbank als Gültigkeitsbeweis dienen. Durch SSI wird der Datenaustausch sicher und bleibt vollständig unter der Kontrolle der Nutzer.

Die E-ID ist ein Infrastrukturprojekt, denn mit ihr kommen SSI-basierte Werkzeuge zum Ausstellen, Abspeichern und zum Verifizieren digitaler Nachweise. Das Spannende daran: Diese Werkzeuge ermöglichen viel mehr als «nur» eine E-ID. Sie bieten die Möglichkeit, beliebige andere digitale Nachweise auszustellen und zu überprüfen.

Die Vertrauensinfrastruktur als Katalysator der Digitalisierung

Auf Basis dieser Vertrauensinfrastruktur sind weitere staatliche digitale Nachweise geplant, z.B. der Führerausweis oder die Wohnsitzbestätigung. Aber es können auch Ökosysteme digitaler Nachweise entstehen, bei denen private und öffentliche Organisationen ihre eigenen Nachweise ausstellen und die Nachweise anderer verwenden. So lassen sich z.B. Tickets, Bildungszertifikate, Mitarbeiterausweise, Nachweise über medizinische Untersuchungen und vieles mehr direkt an die Nutzer weitergeben.

Jeder dieser digitalen Nachweise bringt neue Möglichkeiten der Prozessdigitalisierung. Das Eröffnen eines Bankkontos braucht nur eine einzige Abfrage an eine Wallet, bei einer elektronischen Jobbewerbung können Bildungsnachweise gleich mitgeschickt werden, das Lösen einer Parkkarte oder der Zugang zum Fitnessstudio braucht keine eigene App mehr. Der Datenaustausch ist direkt und transparent: Die Nutzerin kann sofort sehen, welche Daten angefragt werden. Plattformen, die Nutzerdaten verwalten (und häufig für ihre Zwecke nutzen), werden mindestens teilweise überflüssig. Insbesondere in Bereichen mit kritischen und besonders schützenswerten Daten ergeben sich vielfältige neue, sichere und datensparsame Anwendungsmöglichkeiten.

Welche Herausforderungen sind noch zu lösen?

Der Weg in diese Zukunft birgt auch Herausforderungen, z.B. hinsichtlich der weiteren Technologiewahl, der Interoperabilität innerhalb der Schweiz und international, dem konsequenten Datenschutz durch intelligente technologische und gesetzliche Entscheide, der Inklusion benachteiligter oder digital weniger erfahrener Personen sowie der Adoption durch die breite Masse. All diese Herausforderungen sind bekannt und werden auf diversen Ebenen angegangen, um ein zukunftsfähiges Fundament im digitalen Zeitalter zu legen.

Aber was passiert, wenn das Schweizer Stimmvolk das E-ID-Gesetz erneut ablehnt? Die Technologie wird trotzdem kommen, sie ist weltweit auf dem Vormarsch. Jedoch wird es für die Schweiz ohne eigene Infrastruktur und einen staatlichen Identitätsnachweis schwerer, ihre digitale Souveränität gegenüber den grossen Technologieunternehmen der Welt zu behaupten.

Bei all den Möglichkeiten ist es für Firmen und Organisationen an der Zeit, sich zu überlegen, welche Chancen die Vertrauensinfrastruktur bietet. Und die Nutzerinnen und Nutzer können sich auf eine digitale Zukunft mit mehr positiven Gefühlen und weniger digital induzierten Krisen freuen.

 

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Top500-Ausgabe der Computerworld vom September 2025 erschienen.