Das GenAI-Paradox
Zwei Jahre nach ChatGPT herrscht Ernüchterung. 80 Prozent der Organisationen setzen GenAI ein, sehen aber keinen Einfluss auf das Geschäft. Mitarbeitende nutzen private Accounts, weil Initiativen feststecken. Die individuelle Produktivität steigt, der ROI bleibt unsichtbar.
GenAI läuft in die falsche Richtung. Wir delegieren kreative Aufgaben an KI, die wir gerne selbst erledigen. Wissensarbeiter verbringen 60 Prozent ihrer Zeit mit Routinen: Daten kopieren, KI-Inhalte prüfen, Empfehlungen umsetzen.
Die Bottom-up-Ära zeigt: Individuelle Effizienzgewinne skalieren nicht. Horizontale Tools verteilen Produktivität so dünn, dass sie unsichtbar bleiben.
Die Lösung: Agentic AI – autonome Systeme, die Ziele verstehen, Initiative ergreifen, Vorgehen anpassen. Agenten übertragen Daten, korrigieren Fehler, implementieren – unter Aufsicht, ohne manuelle Schritte.
Das Potenzial: Neu gestaltete Prozesse zeigen 20–40 Prozent Zeitersparnis und 30–50 Prozent weniger Backlog statt 5–10 Prozent individueller Effizienzgewinne.
CIOs müssen strategisch denken: Welche Prozesse neu gestalten? Nicht «Wo AI einsetzen?», sondern «Was anders aufbauen?».
Es geht um sinnvolle Arbeit, nicht Stellenabbau. Der Shift: Statt flächendeckende Tools sollten CIOs wenige Bereiche auswählen und Outcome-orientierte Systeme gestalten, in denen Menschen zielgerichtet arbeiten, statt Workflows abzuarbeiten.
Je autonomer die Systeme, desto kritischer ist die Governance. Agenten mit Datenzugriff und Kommunikationsfähigkeit sind hochriskant. Ein E-Mail-Agent könnte durch manipulierte Anweisungen Daten exfiltrieren. Klare Accountability ohne lähmende Kontrolle ist nötig.
Erfolg hängt von Menschen ab. Wenn Agenten Routinen übernehmen, entsteht freie Zeit. Wie sinnvoll einsetzen?
Im Dialog müssen Führungskräfte mit Teams herausfinden, wo Stärken liegen und wie sie diese für Unternehmen und Kunden wertgenerierend einsetzen.
Beispiel: Ein Kundenservice ohne Standardanfragen könnte Kundenbeziehungen vertiefen, Problemlösungen entwickeln oder Produktverbesserungen aus Kundenfeedback ableiten.
Die nächsten 12−18 Monate sind entscheidend. Early Adopters bauen Produktionsumgebungen.
CIOs müssen handeln: weniger Pilotprojekte, dafür radikales Top-down-Denken. Die Technologie entwickelt sich rasant, viel Innovation läuft über US-basierte SaaS-Lösungen. Dies ist für die Schweiz eine Herausforderung. CIOs sollten sich mit Schweizer IT-Unternehmen zusammentun, um ihre Souveränität nicht zu verlieren.
Das GenAI-Paradox lässt sich auflösen. Mit Mut, Strategie und Fokus auf menschliche Stärken.
Dieser Artikel ist ursprünglich in der Netzwoche vom Dezember 2025 erschienen.